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Einleitung – Harald Harst

Harald Harst – aus meinem Leben

 

so hieß über lange Jahre, nachdem sie sich aus den Anfängen von „Der Detektiv“ entwickelt hatte, eine der viel- und regelmäßig, oft von Erwachsenen (Beamten, Lehrern und Anwälten) gelesenen und geschätzten Heftserie der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Gleich nach Beendigung des Ersten Weltkrieges, gab 1919 der Verleger Max Lehmann im Verlag moderner Lektüre G.m.b.H. in Berlin noch einmal die schon 1908 bei ihm in der Heftserie „Pat Conner – der Meisterdetektiv“ von Max Ladenburg (das ist Robert Heymann sen.) erschienenen Texte in 6 Sammelbänden unter dem Serientitel „Der Detektiv“ heraus. Als mit dem abschließenden Broschurband Nr. 6 deren Ende erreicht war, sprang der in diesen verworrenen Zeiten in Berlin greifbare Autor Walther Kabel ein und begann mit ‚Zwei Taschentücher‘ in Band 7 eine Serie über das Leben des deutschen Liebhaberdetektivs Harald Harst.

Der von Lehmann bzw. Ladenburg vorgegebene Serientitel „Der Detektiv“ wurde beibehalten. Eine der beliebtesten Heftserien über viele Jahre begann mit einer Nr. 7.

Kabel hatte eine Vorliebe für die Umstellungen von Silben und Buchstaben in den Namen handelnder fiktiver Personen genau wie auch bei den von ihm benutzten Pseudonymen. Und so schuf er Harald (der Herold, Ankündiger) Harst (alte Bedeutung für Streit, Auseinandersetzung, Kampf), also sinngemäß: den „Verkünder von Kampfesgeschehen“, einen ca. dreißigjährigen promovierten Juristen, der allerdings seinen Doktortitel nur äußerst selten gebraucht, asketischen, nervenstarken Millionär und seinen Begleiter Max (Namensteil von „Max und Moritz“) und, um noch eins draufzusetzen „Schraut“, jemand, der zwar immer mit den Füßen auf dem Boden der Tatsachen steht, mit der Seele doch manchmal in einer phantastischen Traumwelt weilt.

Schraut ist an die zehn Jahre älter als Harst und trägt auf seinem kleineren untersetzten, zur Fülle neigenden Körper eine Billardkugel von Glatzkopf.

Diese beiden Phantasiegestalten sollen die neuen deutschen Holmes / Dr. Watson werden. Doch trotz dieses gedanklichen Vorbildes entwickeln sie ihr Eigenleben. Mehr noch, sie durchleben in den nächsten Jahren die stärkste Epoche in Kabels Schaffen, in der gesellschaftlich-politischen Umstellung vom zusammengebrochenen Kaiserreich zur Republik, wohl nirgends so deutlich im Reich wie in dem pulsierenden Berlin der zwanziger Jahre zu erleben, in der die Not der Inflation und Arbeitslosigkeit, aber auch der glamoureusen Glanzwelt des Berlin W.W. (auch ‚Wehe Wehe’ tituliert) und den beginnenden Übergang in den Nationalsozialismus mit seinen Reglementierungen.

Es geht hinaus von der normalen Verbrecherverfolgung in Deutschland in die weite Welt – besonders gern nach Indien – parallel dazu aus der normalen Erzählweise in einen oft fast stakkatohaften Erzählstil, dessen grammatikalischer Aufbau die Handlung – und den Leser packen. Wieviel Spannung kann man mit den fünf Worten eines begonnenen Satzes und … (drei Punkten) erreichen.

Die Serie hat einen Anfang, beginnt mit Harsts ‚Geburt als Detektiv‘ und den Worten:

Assessor Harst beendete den Vortrag, den er seinem Vorgesetzten soeben über die Mordsache Luckner-Birt gehalten hatte, mit den Worten: „Ich glaube, dieses Beweismaterial genügt zur Erhebung der Anklage gegen diesen ebenso raffinierten wie verstockten Menschen, Herr Geheimrat.“

Der Erste Staatsanwalt streckte ihm die Hand hin und sagte herzlich: „Lieber Harst, – es genügt vollauf! Und – es ist wieder einmal Ihr alleiniges Werk, all diese feinen Fäden zu einem Netz vereinigt zu haben, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt … und Ihre Ernennung zum Staatsanwalt dürfte noch vor Ihrer Hochzeit erfolgen, verehrter Kollege!

Harst beeilt sich, das Gerichtsgebäude zu verlassen, denn er hat sich vor dem Kaufhaus des Westens mit seiner Braut Marga Milden verabredet.

Während er so wartet, beobachtet er den Komiker-Maxe, Max Schraut, einen früheren Schauspieler, der schnell zum Taschendieb und auf die schiefe Bahn des Lasters herabgesunken war und aus der Strafanstalt entwichen sein mußte, als er gerade einer Dame die Handtasche abknipsen will. Harst stellt ihn und der erwischte Schraut gesteht:

Ja, ich bin ausgebrochen. Nur deshalb, weil meine alleinstehende Mutter todkrank ist – nur deshalb! Jetzt ist sie gestorben – gestern abend. Ich möchte ihr doch wenigstens das letzte Geleit geben. Dann – mein Wort darauf! – stelle ich mich freiwillig.“

Harst schaut ihn prüfend an, reicht ihm dann einen Hundertmarkschein und sagt:

Nach der Beerdigung melden Sie sich bei mir. Ich wohne Schmargendorf, Blücherstraße 10.“

Harst wartet auf seine Braut, wartet vergeblich. Die Heißerwartete erscheint nicht – denn sie lebt nicht mehr. – Sie wurde ermordet.

Zur Gewißheit wird diese Nachricht, als die Köchin des Harstschen Hauses Malwine, aus der im Verlauf der Serie (ohne Erklärung dafür!) eine Mathilde wird, ihn aus dem Garten ins Haus ans Telephon holt.

Die schlimme Wahrheit – Tage, Wochen ohne jede Erkenntnis über den Täter – lähmt Harsts Dasein. Bis ihn der Fund eines Taschentuches in Margas Zimmer aus der seelischen Trübsinnigkeit reist – und der Detektiv in ihm erwacht.

Schraut hilft beim folgenden Nachspüren. Der Täter wird ermittelt, und Harst erklärt vor den Mitgliedern des noblen „Universum-Klub“:

Meine Herren,“ beginnt er mit jener kühlen Selbstverständlichkeit, die jeder an ihm kennt und zu der jetzt noch eine müde Gleichgültigkeit hinzugetreten ist. „Sie wissen welch unersetzlichen Verlust ich erlitten habe. Ich werde nie darüber hinwegkommen. Ich war nahe daran, lebensüberdrüssig und trübsinnig zu werden. Da riß mich diese Detektivarbeit wieder hoch. Sie machte mich mein leeres Dasein vergessen. Jetzt, wo sie erledigt ist, fühle ich bereits wieder jene unsagbare Interessenlosigkeit gegenüber all und jedem, die mich vielleicht zum – Selbstmord treiben könnte. Mein Beruf als Jurist kann mir hier nicht die nötige Ablenkung bieten. Er ist zu sehr eingeengt, zu wenig abwechslungsreich. Ich werde ihn aufgeben. Aber – ich will mir gleichzeitig einen anderen Pflichtenkreis schaffen. Kommerzienrat Kammler deutete eine Wette mir gegenüber an. Diesen Gedanken nehme ich jetzt wieder auf. Ich will mich verpflichten, eine größere Anzahl von Verbrechen oder sonstigen Vorgängen, die bisher der Kunst der Polizeiorgane gespottet haben, aufzuklären, – sagen wir zwölf! Ich wette eine Million Mark, daß ich diese zwölf Fälle, die mir nacheinander von meinen Wettgegnern genannt werden und die an Zeit und Ort nicht gebunden sein sollen, erledigen werde.“

Es steht zu vermuten, daß Kabel, als er diese Sätze niederschrieb, wie bei den vorausgegangenen ‚Pat Conner‘-Detektivabenteuern Heymanns an vielleicht ebenfalls zwölf Fällen dachte.

Die zweite Erzählung, die erste Wettaufgabe „Das Geheimnis des Czentowo-Sees“ folgt. Und die dritte „Ein Mord im Sonnenschein“ beginnt dann mit den Worten:

Harst sagte in jenem etwas lebhaften Ton, den er mir gegenüber zumeist anschlägt…

Für den erstaunten Leser kommt die Erklärung zu Beginn des zweiten Kapitels „Der neue Gast“:

Die beiden ersten Erfolge meines Brotherrn und Gönners, zugleich auch meine beiden ersten schriftstellerischen Versuche, habe ich nicht in der sogenannten Ich-Form abgefaßt. Harst meinte, nachdem er sie gelesen, ich solle für diese dritte Erzählung besser die persönliche, also die Ich-Form wählen. „Ich glaube, Sie vereinfachen sich damit die Arbeit und vermeiden unnötige Längen, lieber Schraut.“ –

Nun – er mag recht haben – wie immer.

Damit war für die Zukunft der Begleiter Max Schraut als – Ich-Erzähler gewählt. Es entwickelte sich im Lauf der Zeit die Bezeichnung der Serie zu „Harald Harst – aus meinem Leben“ vom Ich-Erzähler Max Schraut (manifestiert ab Heft Nr. 183). Jedem anderen Autor würde man vorgehalten haben: „Falsch! „Harald Harst – aus seinem Leben“ vom Ich-Erzähler Max Schraut“ muß es heißen.

Doch nein: in Kabels täglicher immerwährender (es gibt die Aussage eines Kabel-Freundes vom abendlichen Stammtisch, wenn dieser die Umsitzenden wieder mal unterbrach: „Moment, Freunde, ich bin gerade in Indien …“) Gedankenwelt des Ich-Schraut im Zusammenleben mit dem verehrten und bewunderten Harst ist eine Symbiose der Handlungsgestalten entstanden. Ich, Schraut(!), sitze am Schreibtisch und in meinem Hirn lebt und handelt Harald Harst.

* * *

Doch weiter in der Handlung.

In der Erzählung „Die verschwundene Million“ wird Schraut von seinem Brotherrn ohne viel Worte das „du“ angeboten.

Auch der letzte Wettauftrag von den zwölf wird gelöst, der Verbrecher entlarvt und überführt. Er kann jedoch fliehen und wird vor dem Haus überfahren.

Der am Boden Liegende suchte sich aufzurichten, blickte wild um sich. Seine Gesichtsfarbe war erdfahl. Dann sank er zurück. Und wie ein Hauch nur kam über seine Lippen – ein einzelnes Wort:

Cecil Warbatty –!“

Harst hat das letzte der gestellten Wettprobleme gelöst und spricht zu den Herren vom Universum-Klub

So, auch das wäre erledigt. – Ich bin müde, meine Herren. Ich verabschiede mich jetzt für längere Zeit von Ihnen. Bereits morgen früh reise ich mit meinem braven Schraut gen Sizilien – nach Palermo. Ob wir uns lebend wiedersehen, steht dahin. – Ich habe die Ehre, meine Herren.“-

Harsts Kampf gegen Cecil Warbatty werde ich in den folgenden Bändchen schildern unter dem Gesamttitel:

 

Harald Harst gegen Cecil Warbatty
des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient

 

Nun stand es fest. Die Heftserie „Der Detektiv“ würde fortgesetzt werden mit einem neuen Zyklus, wie in späteren Jahren noch oft mehrere Erzählungen thematisch und im Handlungsablauf zusammengehören sollten.

Doch mittlerweile trafen die ersten Nachfragen von begeisterten Lesern nach nicht erworbenen Heften beim Verlag ein. Die sicher nicht große Auflage der frühesten Nachkriegszeit war jedoch vollkommen ausverkauft, und bei einem Neudruck ging man nun auf die übliche 32-Seiten Ausgabe im Mittelformat über. Aber so entfiel immer die dritte der Erzählungen.

Diese fehlenden Abenteuer wurden erst neun Jahre später (1929!) in der kleinformatigen Heftserie „Harald Harst – aus meinem Leben“ in 8 Heften herausgegeben. So hatte nun eine für die Sammler so bedeutende Serie wie der Harst auch einen „richtigen“ Beginn mit einem Heft Nr. 1. Nur die Erzählung „Der Kopf der Mumie Ramasenas“ wurde auch hier nicht wieder veröffentlicht.

Irgendwie passend zu dieser Herausgabepolitik des Verlages moderner Lektüre ist die nicht korrekte Reihenfolge der Wiedergabe der eingereichten Manuskripte Kabels in den Harst-Heften 11 – 17. Ein Art Lektorat hat es im Haus Max Lehmann wohl nie gegeben.

Manche Hefte haben Kapitelüberschriften, andere wieder nicht. Auch dies dürfte des Setzers schuld sein. Heißt es doch in Bd. 67 „Die Gauklergesellschaft Shingra Mao“:

ich habe mit Absicht dieses Kapitel „Der Fuchsbau“ überschrieben!“ –

In dem Heft werden keine Kapitelüberschriften angegeben. Hinzufügen kann man noch, daß der Setzer mal wieder den Heftumschlag mit dem Titel der 2. Erzählung versehen hat.

Harald Harst und Max Schraut kämpften nun Abenteuer um Abenteuer gegen Cecil Warbatty in einer Verfolgungsjagd über Sizilien, Ägypten nach Indien.

Und, wie schon gesagt, der aufmerksame Leser muß die Doppelerzählungen gedanklich anders ordnen[1], um dem vom Autor gedachten Handlungsfaden zu folgen.

Es sind spannende Abenteuer. Man kann manchmal auf den Gedanken kommen, auch Indianer Jones[2], bzw. dessen Autoren, hätten sie gelesen.

Als dieser große Verbrecher Warbatty endlich unschädlich gemacht werden kann, erfährt der Leser vollkommen unerwartet, daß Warbatty kein „großer“ Verbrecher war – nein, er war nur das willenlose Werkzeug eines noch größeren Geistes.

Und wie oft wird manches Abenteuer noch folgen, das Schraut und Leser zum Schluß der Geschichte aufatmend sagen läßt: „Gott sei Dank. So also ist alles gewesen. – Das war’s!!“

Und man dann den letzten Satz liest: „Aber es kam ganz anders!!“ – Kein Grund zur Bestürzung, lieber Leser, auch Max Schraut dachte so!

In der Erzählung Nr. 13 „Die tote Lady Rockwell“ wird Max Schraut als Privatsekretär von Harst gekündigt – um ihn in Zukunft als sein „Freund“ zu begleiten.

Ab Heft 43 wird für jedes Heft ein buntes (bei Nachdrucken einfarbig in blau) Umschlagbild angefertigt und ab Heft 51 auf 64 Seiten Kleinformat umgestellt.

Die Erzählung „Zwei Taschentücher“ beginnt im Jahre 19??. Eine erste aufklärende Angabe zu einer zeitlichen Eingliederung der Harst-Abenteuer wird in Bd. 38 „Ein gefährlicher Auftrag“ gegeben. Da findet man den Satz:

9000 Mark war für die Zeit vor dem Krieg immerhin recht viel.

Das Leben Harald Harsts und Max Schrauts wird zeitlich immer greifbarer. Oft liest man nun Datumsangaben in den Erzählungen. Monate, Tage – und ab den neunziger Heften werden auch Jahresangaben genannt. So in Heft 90 „Schatten an der Wand“ direkt: Berlin, d. 26.5.1922.

Oder in Heft 93 „Die tote Karawane“ die Aussage

Harst: „Jetzt, wo der Weltkrieg auch mich, den einstigen Millionär, zum armen Mann gemacht hat …“,

und ganz genau ausgesprochen wird es in Heft 118 „Das Geisterschiff“. Die Erzählung beginnt am 26. Juli 1923, und Schraut sagt:

wenn man wie ich nun bereits ein Jahrzehnt Harst ständiger Begleiter …“

Also: Harst und Schraut trafen 1913 zusammen!

In Heft Nr. 95 „Frau Inges Tränen“ sagt Harald Harst:

die schönen Zeiten, wo ich als Liebhaberdetektiv nur eine Arbeit übernahm, die mir zusagte, sind ja nun seit dem Tiefstand der deutschen Papiermark vorüber. Ich bin arm geworden.“

Und in Heft 113 „Die Hilfsantenne“ heißt es:

damals im Mai 1923 (heute, wo ich dies niederschreibe, am 27.2. 1924“

Und direkt ausgesprochen wird es in Heft 125 „Die Gräfin mit den Kormorane“, der in Berlin beginnt, und Schraut sinniert:

Der September 1923, jener Monat des Unheils, wo die deutsche Papiermark sich der Billion näherte, brachte auch für meinen Freund Harald Harst und seine gütige Mutter Sorgen und Aufregungen. Nicht minder für mich … es war kein Geld vorhanden, das Nötigste zu bezahlen: Medizin, Arzt, Lebensmittel.

Schlimme Zeiten – sehr schlimme Zeiten!

In aller Heimlichkeit nahm ich den Brilliantring, den mir einst, 1913 (!!!)[3] der Radscha von Kartyhur geschenkt hatte …“

Abenteuer folgt auf Abenteuer. Harst verfolgt den Verbrecher, listenreich, unerbittlich, vor keiner Bedrohung zurückschreckend – aber er kann auch aus eigenem Ermessen dem Täter gegenüber Nachsicht zeigen, und, wenn der von der sittlichen Wendung des Täters zum Besseren überzeugt ist, nimmt er sich die Freiheit, den überführten Täter entkommen zu lassen.

In Heft Nr. 158 kommt es zum Bruch des Handlungsgeschehens. Die angekündigte Erzählung „Die Insel der Verstorbenen“ erscheint kurzfristig nicht (kann nicht erscheinen! Grund?), obwohl der Umschlag bereits gedruckt ist. Es wird ausgeliefert „Das Kreuz auf der Stirn“ (vorgesehen als Kabel-Kriminalbuch Nr. 41). Diesem folgen 2 Hefte geschrieben von Peter Becker (in Nachauflagen steht: „von Max Schraut“).

Und – dem Heft 161 „Der Spiritistenklub“ ist dann ein Zettelchen beigefügt:

 

An unsere Leser!

Auf die vielfachen Anfragen aus dem Leserkreise teilen wir hierdurch mit, daß der nächste Band von „Der Detektiv“ (Nr. 161) „Der Spiritistenklub“ wieder von Walther Kabel geschrieben ist. Auch die weiteren Bände sind in der alten spannenden und interessanten Weise von Walther Kabel geschrieben.

Der Verlag

 

Da drängt sich doch der Gedanke auf: „Also hatte man sich wieder geeinigt!“

Die ursprünglich einmal angekündigte Erzählung „Die Insel der Verstorbenen“ wird nie wieder erwähnt.

Der Verlag moderner Lektüre wird immer wieder als Produzent von „Schund“ angegriffen, einzelne Harst-Texte auf den Index gesetzt. So stellt man ab Heft Nr. 183 die auffällige Umschlaggestaltung ein (183 – 194 und zu dieser Zeit gedruckte Neuauflagen anderer Heftnummern). Doch die nun unauffällig gestalteten Hefte mit Neutralumschlägen werden wohl vermutlich in den Kiosk- und Trafikauslagen übersehen. Der Heftverkauf geht wohl auffällig zurück, und Lehmann kehrt zu den alten, ins Auge fallenden Titelbildern zurück.

Kabel wird auch direkt angegriffen, diesmal im Rundfunk, wie er in Band Nr. 225 „Die Wunder der Joojakarta“ berichtet:

Und dann kam’s:

Hier ist der Sender Runzendorf auf Welle 0,5… Achtung, Achtung, hier ist also der Sender Runzendorf auf Welle 0,5… Meine sehr verehrten Damen, Herren, Schwarzhörer und sonstige Gauner, wir bringen Ihnen heute einen Vortrag über Schundliteratur. Unsere Sendeenergie reicht von Pol zu Pol, sogar bis zum völlig unbekannten Südpol. Dieses hochaktuelle Thema muß bis in die fernste Eskimohütte dringen. Wir haben es uns von jeher zur Aufgabe gemacht, unsere Vorträge …“

Ur … urr … krach … zisch … zisch … (Luftgeräusche), etwa drei Minuten lang …

Dann siegte wieder die Runzendorfer Sendeenergie über den verflixten Äther.

Und dann: – – meine Ohren wuchsen, bildlich ausgedrückt, wurden ungeheuer, wurden kolossal …

Beim Himmel: Schundliteratur – – und ich mit dabei, – ich wurde sogar ‚verlesen‘ …!!

Aus ‚Radiostation W. I. 10‘ …

Die Stelle von den roten Tulpen … auf der Schreibtischplatte … Tulpen von der Farbe des Blutes …

Fürchterlicher Schmalz sollte das sein …

Übelste Kolportage …

Und ich Ärmster der Verbrecher!!

Doch der Abenteuerfaden wird weiter gesponnen, geht in einen Zyklus in die Wildnis der Grenzgebiete zwischen Alaska und Kanada, der Kampf gegen Old Crack (Nr. 239 – 242) oder Harsts Arbeit im Sonderstab der Chicagoer Polizei gegen Alkoholschmuggler.

Dann kommt das Heft 332 „Das Gespensterkänguruh“

In jener trüben, regnerischen Februarnacht, als die feurige Röte der gewaltigen Feuersbrunst im Heulen des Sturmes die Flammenzungen turmhoch emporlodern ließ, saß ein Mann mit leicht angegrauten Schläfen neben dem Bett seiner sterbenden Mutter und hielt die langsam erkaltende Hand in der seinen und starrte wie gelähmt von fassungslosem Schmerz in die verfallenen Züge des gütigen Matronengesichts.

Die gütige Matrone, Frau Auguste Harst, die Köchin Mathilde, sie leben nicht mehr, das Heim in der Blücherstraße – die Rückzugs- und Erholwelt zwischen den Abenteuern, ist endgültig zerstört. Und noch etwas entschwindet mit dieser Harst-Welt – das äußere, auffällige, so typische Erscheinungsbild der farbigen, oft von dem Zeichner Christophé so typisch gestalteten Umschlagbilder, die meist direkt zu den Erzählungen angefertigt wurden.

Und noch etwas stirbt in diesem Moment, der mitreißende Stil, in dem die Abenteuer dargeboten wurden (nicht allmählich durch ein „Ausgeschriebensein“ des Autors, nein, plötzlich. Wenn auch weiter noch gute Erzählideen vorliegen, wie der ins Phantastische hinspielene Zyklus „Das Problem der 3 x 3“ (Nr. 363) und die vier folgenden Hefte. Man folgt der Handlung Seite für Seite, ohne kabeltypisch mitgerissen, ja vorwärtsgetrieben zu werden. Die Hefte heißen zwar noch Harald Harst-Abenteuer, doch den ihnen typischen Charakter haben sie verloren.

Kabel schreibt an einen Leser:

„…aber die hiesige Kammer gegen Schund- und Schmutzschriften hat im Sommer 33 den Harst als Schund erklärt und in dem Urteil betont, die Harst-Serie sei nicht national gehalten.

Über mich wäre nicht viel zu sagen. Man wird eben alt, man ist arm und muß sich an allen Ecken und Enden einschränken und allem versagen. Ich habe seiner Zeit die große Dummheit begangen, daß mein Verlagsvertrag für mich sehr ungünstig war und daß ich daher von Neuauflagen nichts mehr an Honorar beziehe – nichts! Dabei sind von Romanen von mir einige in einer Auflage (durch immer wieder Nachdrucke) von 200 000 erschienen.“

Und an anderer Stelle:

sonst gibt es wenig zu berichten, denn wir erleben ja nichts, unser Dasein ist so entsetzlich eintönig … erscheinen mir die Jahre von einst wie ein Wunder. Es gab ja nichts, was ich nicht schaffen konnte, nichts!“

Und wenn Kabel sich einem Leser gegenüber als Gaul im Göpelwerk bezeichnet, so muß ich fragen, wer hat in angebunden, – wann, das ist klar (ab Heft Nr. 333) – aber die Gründe. Denn genau zur gleichen Zeit finden die Abseitswege des Olaf K. Abelsen ein Ende. Da müssen Einflüsse von außen in Kabels Phantasiewelt eingedrungen sein und sie zerstört haben (weniger Honorar – spürbare finanzielle Einbußen?!)

Vierzig Hefte weiter (1932) kommt das Ende der Serie. Kabel kann seinen Harst nicht einfach anhalten. Er hat diese Figur geschaffen – er wird sie zerstören.

Er mordet Harald Harst!

Der Tod seiner Braut „Marga“ machte ihn zum Detektiv und eine „Marga“ – steht sogar titelgebend für das Ende der Serie. Gefangen unter Wasser in einem Taucheranzug kommt er noch einmal mit einer Hand an die Oberfläche der Swine – real oder nur in Schrauts überspannter Phantasie sei dahingestellt – und kratzt „H. H.“ – als Signal zur Erinnerung – in einen Pfahl.

Nach Monaten wird ein Körper vom Meer angespült und als Harst identifiziert. Noch fragt der durch die Erzählungen Schrauts viele Jahre lang gewitzte Leser „Wirklich?“

Aber es bleibt Tatsache, und Schraut beendet diese Erzählung und damit die Serie von fünfzehn Jahren „Harald Harst – aus meinem Leben“ in dem Schlußkapitel unter der Überschrift „Das letzte Harst-Abenteuer, – endgültig!“ mit den Worten:

Ich fuhr auf den Friedhof an Haralds Grab. Aber dieses Grab gibt mir nie den Trost, den ich suche und den vielleicht andere an den Gräbern ihrer Lieben finden. Die Erinnerungen an den lebenden Freund ist mir wertvoller als die eindringliche Vorstellung, daß dort unter dem Hügel etwas Verwesbares ruht. Nur in unserem Häuschen mit seinen tausend Andenken an anderthalb Jahrzehnte innigen Zusammenlebens[4] fühle ich den Frieden weihevollen Gedenkens.

Hiermit verabschiede ich mich von meinen Lesern und Freunden für immer. – –

Mit diesem Band sind die Harald Harst-Abenteuer endgültig abgeschlossen:

Es war einmal – – –!

„Es war einmal!“ – so enden Märchen! Und zu Ende war sie nun ja auch: die Welt des Harald Harst – nein, die Welt Walther Kabels, denn er selbst dürfte es gewesen sein, der in diesen letzten Zeilen gedanklich an das Grab seines „Harst“ fuhr.

Kabel arbeitete nicht mehr als Schriftsteller und verstarb ein Jahr später.

Diese von mir hier gemachte Zusammenstellung über Harald Harst kann nur ein ganz kurzer Einblick in dessen Phantasiewelt sein.

Um mehr zu erfahren, heißt es, die Hefte in die Hand nehmen, auf

schlagen, heißt: eindringen in diese Phantasiewelt, sich von ihr packen lassen, heißt:

 

Lesen – Lesen!!

 

P. Wanjek

am 26. Oktober 2013.

 

 

Anmerkungen:

  1. siehe Bibliographie
  2. das schlagende Herz im dem geöffneten Körper
  3. die !!! wurden von mir in das Zitat eingefügt
  4. Na – dieses Häuschen wurde doch schon samt Inhalt vor anderthalb Jahren bis auf die Grundmauern niedergebrannt, Herr Schraut!!